Samstag, 23. Februar 2013

Zwischenruf - Ökolandbau = nachhaltige Landwirtschaft?




Anlass für diesen kleinen Zwischenruf ist eine öffentliche Anhörung im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung am Mittwoch, 20. Februar 2013, bei der die Frage geklärt werden sollte, ob der Anteil des ökologischen Landbaus ein geeigneter Indikator für die nachhaltige Entwicklung der Landwirtschaft ist. Die Anhörung einschließlich der geladenen Expertinnen und Experten ist auf den entsprechenden Internetseiten des Bundestages dokumentiert, so dass ich hier auf die weitere Darstellung verzichte. Auch die komplette Anhörung ist als Video verfügbar.





Wie kaum anders zu erwarten, mäanderte die Diskussion relativ ungezielt um die Frage was ist eigentlich nachhaltige Landwirtschaft und alle Podiumsteilnehmer brachten - wie so häufig - eine eigene Definition (und verwiesen teilweise auf die selbst verfassten Bücher zu diesem Thema, was dann ein Flair von "Wetten Dass" in den Bundestag brachte, aber egal). Am Schluss überwog die Auffassung, dass der ökologische Landbau die nachhaltigste Form der Landwirtschaft ist, aber eigentlich müßte dies noch geklärt werden und es wurde der Ruf nach mehr Forschung laut. Das hört man als Wissenschaftler natürlich gerne, aber stimmt das auch so? 



Ich will nun nicht versuchen hier eine Diskussion zum Thema Ökolandbau vs. konventionelle Landwirtschaft zu führen. Zum einen habe ich dies - zumindest in Teilaspekten - schon an anderer Stelle getan. Zum anderen sprengt es auch den Rahmen. Schwerpunkt ist also die Frage: "ist der ökologische Landbau  mit der nachhaltigen Landwirtschaft gleichzusetzen, oder ist der ökologischer Landbau die nachhaltigste Form der Landwirtschaft?" 


Historie
Die historische Entwicklung der Nachhaltigkeit füllt inzwischen ganze Bibliotheken. Hier sei nur der Hinweis gestattet, dass just in diesem Jahr sich die erste Erwähnung zum 300x jährt. Viele Feiern stehen an. Und auch der ökologischer Landbau ist in seiner Historie schon hinreichend beschrieben. Legt man nun beide Entwicklungen nebeneinander, bleibt eigentlich nur eine Schlussfolgerung: Bis auf sehr wenige Berührungen finden sich kaum Schnittmengen. Die nachhaltige Entwicklung hat die deutlich längere Historie, war aber stark auf den Forst konzentriert. Die Landwirtschaft wurde dann erst im Laufe des 20. Jahrhunderts integriert. Der Umweg ging über Fragen der globalen Entwicklung. Hier stand aber schon von Anfang an die Fokussierung auf die indikatorgestütze Analyse im Vordergrund. Es lohnt ein Blick in die Agenda 21. 

Der ökologischer Landbau entstand ab den 20iger Jahren des letzten Jahrhunderts und der Begriff - und was wichtiger ist - das Konzept  der Nachhaltigkeit wurde schlicht nicht beachtet. Es gibt allerdings einige bemerkenswerte Ausnahmen. So taucht der Begriff "Nachhaltigkeit" (in englischer Form) im Titel der ersten IFOAM-Tagung 1977 auf, ohne dass jedoch das Konzept der Nachaltigkeit besprochen wurde. Hierbei muss man zugestehen, dass die konzeptionellen Überlegungen zu diesem Zeitpunkt immer noch stark auf Fragen des Forstes und der globalen Dimension beschränkt waren. Dies änderte sich eigentlich erst ab dem Brundtland-Bericht und der Tagung von Rio, wobei im angelsächsischen Bereich sehr häufig eine Gleichsetzung zwischen Ökolandbau und nachhaltiger Landwirtschaft erfolgte. Es unterblieb aber in der Regel auch hier eine Diskussion um Inhalte und Ziele. In der letzten Zeit ist nun sehr häufig auch im deutschen Sprachraum diese Gleichsetzung zu beobachten. Nach meiner Einschätzung aber meist eher oberflächlich und rein semantisch - nachhaltig klingt halt einfach schick, u.a. auch im Ökolandbau  - ohne wirkliche Befassung mit den Grundlagen und Inhalten, womit wir schon bei den Unterschieden im Konzept wären.   

Handlungs- vs. Zielorientierung 
Aus meiner Sicht gibt es einen wesentlichen konzeptionellen Unterschied zwischen den beiden Vorgehensweisen. Das Konzept des ökologischer Landbaus ist handlungsorientiert. Festgelegt in den Richtlinie sind Vorschriften zur Nutzung oder auch nicht Nutzung bestimmter produktionstechnischer Mittel. Sei es Pflanzenschutz, Düngung oder auch die Verwendung bestimmter Zusatzstoffe. Dies macht das System vergleichsweise kostengünstig und einfach in der Kontrolle. Sicherlich gibt es Ergänzungen durch gezielte Analysen, aber dies wird nicht standardmäßig durchgeführt. Umweltparameter (Nitrat, Biodiversität, Erosion, Humus) werden nicht erfasst. 

Im Unterschied dazu ist die Perspektive der nachhaltigen Landwirtschaft zielorientiert auf der Basis von Indikatoren. Spätestens seit der Agenda 21 aus dem Jahr 1992 ist dies Konsens. Diese Vorgehensweise  (Indikatorenauswahl mit anschließender Grenzwertfestlegung) ist ein gesellschaftlicher Prozess und sicherlich noch lange nicht abgeschlossen, aber die Aussage in der o.g. Anhörung, dass dies alles noch offen sein, greift zu kurz. Als ein Beispiel - pro domo - kann hier das DLG-Nachhaltigkeitszertifikat genannt werden. Erwähnt werden sollten an dieser Stelle aber auch die Bemühungen von Industrieunternehmen zur Etablierung der nachhaltigen Produktion. Beispiele umfassen Unilever und Rewe. Dass man dies alles besser und umfangreicher und auch mit einer anderen Zielsetzung machen kann, ist unbestritten, trotzdem sollten solche Ansätze nicht einfach ignoriert werden.

Dass ein solches System durchaus auch funktionieren kann und hohe Bedeutung in der Fläche erzielt, zeigen  die Beispiele aus dem Forst wie FSC und PEFC. Beide Systeme wurden schon recht zügig nach der Weltkonferenz von Rio 1992 etabliert. Die Landwirtschaft hat nach meiner Meinung die Entwicklung schlicht verschlafen. 


Folgt man nun der Argumentation, dass ein grundlegender Unterschied in der Handlungs- oder Zielorientierung vorliegt, ergeben sich interessante Konsequenzen. Für ein System der nachhaltigen Landwirtschaft ist zuerst ein oben beschriebener Prozess der Indikatorauswahl und der Grenzwertsetzung zu fordern. Anschließend kann dann ein Produktionssystem etabliert werden, das unter Berücksichtigung von ökonomischen, sozialen und naturräumlichen Gesichtspunkten, die beste und effizienteste Zielerreichung gewährleistet. (Für den geneigten Leser: Dies klingt sehr nach dem klassischen Prototyping von Vereijken; was waren das für schöne Zeiten!). Wie so ein System dann tatsächlich aussieht ist im Ergebnis offen weder durch Verbände oder andere Institutionen präjudiziert. 

Würde man hier eine vorsichtige Einordnung der beiden System Ökolandbau vs. konventioneller Produktion vornehmen sind eine Reihe von Fällen denkbar in denen der ökologischer Landbau dann ganz klar die nachhaltigere Lösung bietet. Dies gilt wenn z.B. Biodiversität in dem Indikatorset einen hohen Stellenwert hat. Genauso sind aber auch Situationen möglich, die Lösungen außerhalb der Richtlinien des ökologischen Landbaus präferieren würden. Um hier Missverständnissen vorzubeugen, dies wäre dann nicht zwangsläufig ein konventioneller Landbau in der jetzt praktizierten Form, sondern würde sich möglicherweise davon deutlich unterscheiden. Nicht berücksichtigt sind in dieser Argumentation zwei Gesichtspunkte. Alle Untersuchungen zu Systemvergleichen mit einer ausreichenden Datenbasis unterstreichen die immense Spannweite innerhalb der Systeme. Auch wenn es in der Öffentlichkeit wenig bekannt ist, bei Nutzung von Indikatoren sind die Schnittmengenin Systemvergleichen oft recht groß. Zum zweiten ist der hier beschrieben Ansatz natürlich extrem statisch. Alle Landbausysteme können sich entwickeln, können Betriebsmittel zulassen oder einschränken oder sich mehr oder minder gut an wechselnde ökonomische oder rechtliche Rahmenbedingungen anpassen. 

Besonders interessant sind nun einige aktuelle Entwicklung im ökologischen Landbau. Hier findet in den letzten Jahre in der Forschung und auch in der Verbandsarbeit eine methodisch Neuorientierung statt. Erstmals werden hier auch Indikatoren zur Betriebsbeurteilung diskutiert. Es handelt sich damit um einen Systemwechsel von der Handlings- zur Zielorientierung. Der Schwerpunkt liegt derzeit  noch in der Entwicklung von Beratungstools, aber das muss ja nicht so bleiben, sondern auch hier kann ein Kontrollcharakter eingeführt werden, zumal wenn die gleichen Institutionen die Kontrolle durchführen. Wie solche Analysen dann letztendlich aussehen, bleibt abzuwarten, aber besonders spannend wird der Fall, wenn ökologisch zertifizierte Betriebe bestimmte vorgegeben Grenzwerte verfehlen. Was ist das dann für eine Art von Landwirtschaft? Völlig unabhängig kann dies übrigens schon bei der nächsten Novelle der Düngeverordnung passieren, wenn für Stickstoff verpflichtend Hoftorbilanzen vorgeschrieben werden. Auch dies ist dann ja eine Zielorientierung. 

Ist dieser Sachverhalt wahrscheinlich? Nach meiner Kenntnis von Betriebsvergleichen ist dies sogar ziemlich wahrscheinlich. So sind die Nährstoffflüsse und damit auch das Verlustpotential für Stickstoff auf intensiv wirtschaftenden Ökobetrieben - eventuell mit Biogasanlage - häufig problematisch. Auch Bodenindikatoren (Schadverdichtung, Erosionspotential) zeigen in Untersuchungen auf Grund der hohen Intensität der Bearbeitung immer wieder problematische Werte. Produktbezogene Stoffbilanzen sind in den Ergebnissen nicht eindeutig, ganz zu schweigen von der vergleichsweise geringen Energiebindung. Aber dies führt nun schon in die üblichen Vergleichsdiskussionen, die ich hier eigentlich vermeiden wollte, denn es geht an dieser Stelle um den methodischen Unterschied. Trotzdem ist die Entwicklung spannend.  

(Um an dieser Stelle den üblichen "Beissreflexen" vorzubeugen: Selbstverständlich gibt es auch massive Probleme in den heutigen konventionellen Systemen. Wer wüsste dies nicht besser als ich. Zu nennen sind der Verlust von Biodiversität (Einschränkung des Kulturpflanzenspektrums), die Nitratverluste in den Intensivregionen der Tierhaltung und der Bioenergieerzeugung, Schädlingskalamitäten (Mäuse) auf Grund der reduzierten Bodenbearbeitung, Resistenzprobleme und und und. Wenn solche Probleme vorliegen - man verzeihe mir den Fokus auf die Fruchtfolge - dann muss z.B. hier ein entsprechendes Anbausystem etabliert werden). 


Zweifel

Zweifel muss es für Wissenschaftler immer geben und daher ist jede Diskussion hilfreich. Bleibt die Frage, ob hier noch Dimensionen unbeachtet geblieben sind, die die Argumentation grundsätzlich in Frage stellen? Hier muss sicherlich das Argument des ökologischen Landbaus bezüglich des so genannten "Betriebsorganismus" berücksichtigt werden. Danach ist ein landwirtschaftlicher Betrieb analog wie ein lebender Organismus zu betrachten und kann nur begrenzt mit agrar-, natur- und wirtschaftswissenschaftlichen Kategorien beurteilt werden. Ein Indikatoransatz wäre damit streng reduktionistisch und würde diesem Systemcharakter nicht gerecht werden.  Folgt man dieser Argumentation, kann ich als Agrarwissenschaftler nur wenig beitragen, da dann Philosophen und Geisteswissenschaftler gefordert sind. Versucht man aber eine Nähe zu den Wissenschaften mit Maß und Zahl herzustellen, lässt sich zumindest überprüfen, ob ein Systemcharakter in der agrarwissenschaftlichen Forschung entsprechend Eingang gefunden hat.

Hier ist in den letzten mindestens zwei Jahrzehnten in den Agrarwissenschaften ein extrem starker Trend zur Modellierung und Systembetrachtung zu beobachten. Es gibt eine Vielzahl entsprechender Fachzeitschriften und Spezialtagungen (die Tagung in Catania war die bislang beste Tagung auf der ich war), die sich konzentriert mit der Modellierung von Produktionsprozessen auf unterschiedlichen Skalenebenen (Feld, Fruchtfolge, Betrieb, Landschaft) befassen. Im Bereich des ökologischen Landbaus sind diese Ansätze bislang wenig eingeflossen. Im Gegenteil: Auf den Tagungen dominieren  klassische Forschungsansätze mit ein- oder mehrfaktoriellen Versuchsanlagen. Dies ist grundsätzlich nicht zu kritisieren, denn gerade diese Versuchsanlagen waren ja mehr als 100 Jahr für den Fortschritt in den Agrarwissenschaften verantwortlich; dem Systemcharakter wird dies jedoch nur begrenzt gerecht und es entspricht auch nicht dem letzten Stand der Forschung in diesem Bereich. Wenn also der "Betriebsorganismus" naturwissenschaftliche fassbar sein soll, wäre dies aus meiner Sicht der geeignete Methodenmix, wobei der Ausgang auch hier offen bleibt. Ich halte das Argument daher für eher wenig stichhaltig; lasse mich aber gerne korrigieren. Um auch hier fair zu sind, muss man erwähnen, dass auch sehr viele Tagungen unter der Überschrift "Nachhaltigkeit" den eignen Ansprüchen nicht gerecht werden und kaum interdisziplinäre, aus Langzeitversuchen mit den Teilaspekten Ökonomie, Ökologie und Soziales beinhalten. Es hat halt alles zwei Seiten. 

Es gibt aber noch weitere Argumente bei der Frage nach dem Goldstandard ökologischer Landbau, die selbstkritisch hinterfragt werden müssen. Solange bestimmte Produktionsformen mit Einkommensverlusten verbunden sind, muss über eine Finanzierung nachgedacht werden. Oft kommt hier der Ruf nach dem Staat; Alternativen sollten aber nicht unberücksichtigt bleiben. Es ist sicherlich eine extreme Herausforderung in der heutigen  Situation des Siegelwirrwarrs und der Richtlinienvielfalt Verbraucherinnen und Verbraucher von einem weiteren Siegel zur nachhaltigen Produktion zu überzeugen, das auch noch je nach Standort, Produktionsziel, zu schützenden Ressourcen usw. usw. im konkreten Einzelfall eine unterschiedliche Produktionstechnik umfassen kann. Ich halte dies für sehr nachvollziehbar und als wichtiges Argument bei der aktuellen Politik und Förderung der Ökoproduktion einschließlich der heutigen Werbe- und Marketingstrategien zu bleiben, zumal bei einem Wechsel der Strategie auch Transaktionskosten entstehen würden. Umgekehrt schrumpft damit der heutige Ökolandbau zu einem Marketingkonzept, das sich extrem weit von den eigenen Ansprüchen entfernt hat.

Man/frau weiß es gibt bessere Lösungen, will aber Verbraucherinnen und Verbraucher nicht überfordern und dann lässt man es halt so wie es ist. Persönlich würde ich es für extrem interessant halten, ob es zu dieser Frage empirische Daten d.h. Forschungsergebnisse gibt. Mir sind keine bekannt. Es wäre spannend zu schauen, ob trotz dieser Transaktionskosten entsprechende Ziele effizienter erreicht werden könnten. Es kann durchaus sein, dass man hier zu dem Ergebnis kommt der ökologische Landbau erreicht die Ziele der Nachhaltigkeit besonders effizient.  Trotzdem wundert mich  sehr, dass Politik hier ohne eine ausreichende Datenlage entscheidet. Es geht schließlich um sehr viel Geld. 


Fazit
Helfen nun alle diese Überlegungen und Argumentation hinsichtlich eines sachgerechten Vergleichs zwischen den beiden Systemen? Nach meinen Kenntnissen hilft es zumindest   den Vergleich der Anbausysteme auf eine sachliche Basis zu stellen. Welches Ergebnis dann schlussendlich dabei herauskommt, ist offen. Seriöse wissenschaftliche Untersuchungen zeigen immer wieder, dass bei einem indikatorbasierten Vergleich selten nur schwarz-weiß Ergebnisse, sondern auch viele Graustufen sichtbar werden. Noch stärker wird dies hervortreten, wenn Anbausysteme - um es auf dieser Betriebseben zu belassen - speziell nach vorher definierten Grenz- und Zielwerten konzipiert werden. Dies führt dann zwangsläufig zu standortangepassten Lösungen, die je nach Präferenzen ausgestaltet werden und der Vielfalt der Herausforderungen individuell gerecht werden können. 

Zweifellos noch ein weiter Weg. 



PS Ich finde es fast etwas peinlich hier auf die Literatur zu diesem Themenkomplex hinzuweisen, nachdem die "Experten" in der o.g. Anhörung fast einmütig betonten, dass es ja alles noch neu und unbekannt ist, dabei sind viele der im Bundestag besprochenen Sachverhalte, seit Jahrzehnten bekannt. Ich will hier auch keine Veröffentlichungen verkaufen - wie die eine Expertin  - sondern die Publikationen sind frei verfügbar.  Man beachte die Publikationsdaten. So schnell vergehen 20 Jahre und es ist nichts passiert.

PPS Am Mittwoch dieser Woche findet in Braunschweig eine Tagung statt, die sich in Teilaspekten mit dem Thema befasst.