Freitag, 4. Oktober 2013

First International Conference on Global Food Security



Brauchen wir eigentlich noch immer weitere Tagungen zu Fragen der Welternährung? 

Diesen kritischen Einwand könnte man sicherlich mit Fug und Recht an den Anfang stellen. Schließlich hat gerade auch die FAO wieder ihren Bericht zur Entwicklungssituation publiziert und die Fakten sind schon seit vielen Jahren bekannt: 
  • Die Weltbevölkerung wächst (wenn auch nicht ganz so stark wie erwartet)
  • Der Hunger in der Welt nimmt langsam ab (wenn auch nicht so schnell wie erhofft)
  • Die Produktion von Nahrungsmitteln wird zum Mengenproblem (Ackerfläche ist begrenzt, Erträge steigen nur noch wenig an, Klimaveränderungen zeigen erste Wirkung)
  • Die Konsummuster verändern sich (extrem mehr Fleischkonsum in Asien und Afrika)
  • Die negativen Umweltwirkungen der Landwirtschaft sind global nachweisbar (Bodendegradation, Klimaveränderung, Überdüngung etc. )
Die "eine Lösung" (militärisch "Silver Bulett", royal "Königsweg"), kann und wird es nicht geben, sondern Veränderungen lassen sich nur langsam und vor allem regional erreichen. Auch dieser Allgemeinplatz zieht sich durch alle entsprechenden Papiere und Veranstaltungen. Dass es dann aber doch immer wieder neue Facetten, Initiativen und Argumentationslinien geben kann, die vielleicht weitere Optionen eröffnen, zeigte die Tagung "First Global Conference on Food Security", die vom 29.9. bis 2.10. 2013 im niederländischen Nordwijkerhout stattfand. Mehr als 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus mehr als 70 Ländern zeigten schon im Vorfeld, dass es gelungen war eine wirklich breite internationale Gruppe von Fachleuten zu interessieren. 

Intensiver Zierpflanzenanbau am Tagungszentrum in  Nordwijkerhout

Flächen und Erträge

Der eine Grundpfeiler für Prognosen der globalen Agrarproduktion ist die Abschätzung der verfügbaren Fläche. Frei nach Mark Twain "Buy land, they are not making it anymore", besteht ja auf Grund der Knappheit die Hoffnung auf große Gewinnen bei der Investitionen in Ackerland. Erstaunlich ist dann wiederum welche Unsicherheiten bei der Flächenprognose  existieren. So vergleicht David Eitelberg von der Universität Amsterdam eine Reihe von Studien über die potentielle Ackerfläche weltweit und kommt zu einer Spannweite von knapp 50 Mio. Hektar bis zu mehr als 5 Mrd. (!) Hektar. Im Vergleich zu den derzeit bewirtschafteten 1.5 Mrd. Hektar Ackerland wirklich eine enorme Unsicherheit. Der Wert von mehr als 5. Mrd. ha scheint mir - ehrlich gesagt - ziemlich übertrieben. 

Vermutlich liegt der reale Wert in der Mitte, denn allein für Russland sieht Daniel Müller vom Leipniz-Institut für  Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) in Halle ein Potential von mehr als 50 Mio. Hektar. Kompliziert wird dann aber wenn nicht nur die Fläche, sondern auch die Umweltwirkungen der Kulturnahme abgeschätzt werden sollen. 

Eine Arbeitsgruppe aus Brasilien stellte Ergebnisse vor, dass die Ausbreitung des Ackerbaus im Amazonasgebiet die nationale Bilanz mit Kohlenstoff deutlich verschlechtern würden. Dies ist aber nur ein Umweltindikator. Es ist stark zu vermuten, dass auch Biodiversität und Stickstoffbelastung zunehmen werden. Gleichzeitig wird aber immer wieder argumentiert, dass gerade in Brasilien in den weiten Steppenlandschaften beträchtliche Flächenreserven vorhanden sind. 

Und die Erträge? Hier beginnt nun die mühsame Detailarbeit, denn Steigerungen der Erträge sind nur möglich mit einer intelligenten Kombination aus Zuchtfortschritt, Bewässerung, Fruchtfolge, Düngung und Pflanzenschutz einschließlich Fortschritten in der Landtechnik  und der Lagerung. Der berühmte Teufel steckt hier im Detail, denn die denkbaren Fortschritte sind immer auch von den Umweltbedingungen, sprich Klima und Boden, abhängig. Warum allerdings in so vielen Gegenden der Welt die potentiell möglichen Erträge nicht erzielt werden und daher eine große Ertragslücke ("engl. Yield Gap") zwischen Potential und Realität existiert, war Inhalt eines Beitrages von Martin van Ittersum von der Universität im niederländischen Wageningen (übrigens auch einer der Organisatoren der Tagung). In diesem Projekt werden weltweit Ertragspotential und aktuelle Ertragsleistung verglichen.  Die ersten Ergebnisse sind bereits online und auf einer Webseite kann regional sehr differenziert die Ertragslücke dargestellt werden - beeindruckend. Das Projekt zeigt wie globale Datenverfügbarkeit und Modellberechnungen ganz konkret Hinweise für regionale Verbesserungen ermöglichen.

Erstaunlich fand ich auch, welche Forschungsanstrengungen derzeit hinsichtlich der Nutzung von Insekten als Erweiterung des Nahrungsmittelspektrums gemacht werden. Catronia Lekemond aus Wageningen erläuterte hier den Stand der Entwicklungen. So werden derzeit nicht nur eine Vielzahl von Arten auf ihre Zusammensetzung untersucht, sondern auch die lebensmitteltechnischen Eigenschaften des Insektenproteins stehen im Fokus. Je nach Ausgangsinsekt - die Spannweite ist groß und geht von Mehlwürmern bis zur Kakerlaken - ist die ernährungsphysiologische Zusammensetzung überwiegend als recht günstig einzustufen. Weil aber zweifellos in unserem Kulturkreis gewisse Vorbehalte gegenüber einem direkten Konsum von Insekten bestehen, wird intensiv an verarbeiteten Produkten geforscht. Denkbar ist Insektenprotein als Ersatz von Sojaprotein. Ob dies die Vorbehalte der Konsumentinnen und Konsumenten vermindert? Ich bin da skeptisch. Die Umweltbilanz wäre allerdings extrem günstig. 



Ganz spannend - das nur als Randnotiz ("Food for Thought") - fand ich  die Diskussion, ob nun Vegetarier Insekten oder Produkte mit Insektenbestandteilen essen dürfen. Eine entsprechende Suche bei Google fördert hier wirklich sagenhafte Argumentationslinien zu Tage. Da wird der Kohlweißling auf der Wirtspflanze dann auch einmal liebevoll wieder an den Ackerrand getragen, aber egal. 




Nachhaltiger Konsum

Der zweite Grundpfeiler bei der Frage der Welternährung ist dann die Nachfrageseite. Wieviel und was wird konsumiert? Wie sind die Umweltwirkungen und gibt es eventuell noch weitere, bislang ungenutzte Quellen? Neben der reinen Kalkulation von Kalorienbedarf und -produktion pro Kopf rückt hier immer mehr auch die Nahrungsqualität bezüglich der verschiedenen Inhaltsstoffe in den Vordergrund. Eine Reihe von Krankheiten und Entwicklungsproblemen sind eben nicht allein durch eine mangelnde Kalorienunterversorgung verursacht, sondern werden durch ganz spezifische Mangelsituation mit essentiellen Elementen oder Vitaminen hervorgerufen. Für die statistische Erfassung keine leichte Ausgangssituation und auch die Gegenmaßnahmen sind dann wesentlich komplexer. 


Einhellig wurden die überproportional großen Umweltwirkungen eines weiter steigenden Fleischverbrauches beklagt. Bis auf ganz wenige Einzelstimmen gab es hier kaum Widerspruch. Mit welchen politischen Mitteln - wenn überhaupt - hier gegengesteuert werden kann, blieb jedoch offen. Während nach meinem Eindruck die meisten Vortragenden eher auf freiwillige Selbstbeschränkungen, vermehre Aufklärung und auch Kooperationen mit der Lebensmittelindustrie setzten, gab es vereinzelt auch Stimmen für Veränderungen im Steuersystem, um den Fleischkonsum zu vermindern oder den weiteren Anstieg zumindest zu verzögern. Die leichten Trends zu vegetarischer oder veganer Ernährung wurden im globalen Kontext als Fußnote ohne Relevanz für weltweite Mengennachfrage angesehen. Ob hier ein Trend entsteht, der irgendwann eine globale Bedeutung haben kann, blieb offen. 



Eine ganz handfeste und auch recht problemlos umsetzbare Idee zur Verbesserung der Umweltbilanzen bei der Fleischproduktion und gleichzeitig zur Einschränkung des Abfallproblem stellte dann Tristram Stuart vor. Seine Idee: Verfütterung von Lebensmittelabfällen an Schweine. Derzeit müssen unter großen Kosten Lebensmittelabfälle auf den verschiedenen Stufen  schlicht entsorgt werden und landen schlimmstenfalls auf der Müllkippe. Durch eine Wärmebehandlung mit 65 C könnten alle relevanten Keime abgetötet werden und bei Beachtung einige hygienischen Voraussetzungen ließen sich diese Abfälle nach Meinung von Stuart gut in der Schweinefütterung nutzen. Ein Auftritt mit einem sehr ähnlichen Vortrag kürzlich gehalten in Wageningen findet sich hier. Die Umweltbilanzen dieser Fütterung sind im Vergleich zur Nutzung von Gerste und Soja jedenfalls deutlich besser. Stuart machte deutlich, dass es nur um die Fütterung an Schweine und nicht an Wiederkäuer gehen darf, denn die BSE-Krise hat ja massiv vor Augen geführt, welche Probleme hier auftreten können. 


Und sonst

Neben all diesen eher technischen Beiträge waren selbstverständlich auf der Tagung auch die Sozial-, Wirtschafts- und Politikwissenschaften vertreten. Die Titel  der Beiträge auf der Tagungswebseite zeigen hier die ganze Breite, aber als Ackerbauer war dies nicht mein Hauptfokus. Die Bemerkungen in diesen Themenbereichen in den Plenarvorträgen unterstrichen zwei Haupttrends. Zum einen wird immer stärker auch die Verantwortung einer guten Regierungsführung (engl. Good Gouvernance"), aber auch die Rolle der Frau hervorgehoben. Beides keine echten Neuigkeiten, aber zumindest sollte nicht der Eindruck entstehen, dass es auf der Tagung nur um technische Belange ging.

Erwähnenswert ist noch was auf der Tagung keine oder nur eine sehr untergeordnete Rolle spielte. Dies war zum einen die Produktion von Bioenergie. Wenn es überhaupt in den Beiträgen genannt wurde, dann war der einhellige Tenor, dass es zukünftig nur eine kleine Rolle spiele kann. Dies gilt hauptsächlich für die Nutzung von Reststoffen wie Gülle oder Stroh. Massive Unterstützungsprogramme und Subventionen wie in den USA oder auch in einigen Ländern in Europa - Deutschland wurde mehrfach als schlechtes Beispiel genannt - sind eher kritisch zu sehen. "Food first" war der Tenor. Auch der ökologische Landbau war meist nur eine Randnotiz. Hier ist sicherlich die europäische Perspektive etwas verzerrt, wo ja häufig der ÖL als Lösung aller Probleme betrachtet wird. Im globalen Kontext sahen die meisten Beiträge hier kaum einen substantiellen Beitrag zur schwierigen Situation bei der Welternährung. 

Fazit

Eine zentrale Botschaft der Tagung wurde nach meiner Einschätzung schon im ersten Planvortrag thematisiert. Luise Fresko von der Universität Amsterdam und ehemalige Assistant Director-General for Agriculture der FAO, forderte eine neue Grüne Revolution. Diese nächste Grüne Revolution, so Fresco, muss aber auch die gesamte Wertschöpfungskette umfassen und gleichzeitig die Stimmen der Konsumentinnen und Konsumenten berücksichtigen. Landwirtschaft allein wird die Probleme Welternährung nicht lösen können. Wer mag da widersprechen?





PS Für weitere Informationen zu den einzelnen Vorträgen wie immer bitte kurz melden; es gab das gesamte Tagungsprogramm auf einem Stick.  



PPS Noch eine interessante Randnotiz. Internationale Tagungen in diesem Maßstab sind teuer und das Budget ist idR sechsstellig (Hier einmal einige allgemeine Informationen). Wie es konkret im Fall der Tagung in den Niederlanden ausgesehen hat, weiß ich nicht, ist aber auch nicht so entscheidend. Für die Organisation ist man also zwangsläufig auf finanzkräftige Sponsoren angewiesen und da fangen  die Probleme an, weil ab und an diese Sponsoren versuchen Einfluss auf das Tagungsprogramm zu nehmen. Meist in Form eines speziellen Forums oder eines Workshops. Das betrifft übrigens nicht nur Unternehmen, sondern kann auch Vereine, Stiftungen oder sogar politische Parteien umfassen. Bei gemeinnützigen Organisation gibt es meist keine Kritik, aber sobald Industrieunternehmen in den Ring steigen, beginnt die Diskussion. Die Welt ist hier sehr bunt.

In der Tagung auf den Niederlanden war auch Monsanto ein wichtiger Sponsor. Einen Einfluss auf das Tagungsprogramm konnte ich nicht entdeckten, aber es gab einen Workshop zu dem Thema "Kann Monsanto eine Tagung mit dieser Thematik unterstützen?" Eine wichtige Botschaft. Ich persönlich würde mir solche Diskussionen von vielen Veranstaltungen wünschen. 

Strand von  Nordwijkerhout - man kann nicht 24 h Vorträgen folgen