Sonntag, 19. Juni 2016

Markthalle 9 in Berlin - Landwirtschaft, Handwerk und Genuss


Ich mag Märkte. Wochenmärkte, Fischmärkte, unter Dach oder im Freien – egal. Dafür gibt es verschiedene Gründe.  Zum einen sind es sicher die Erinnerungen an die eigene Kindheit, die ja immer besonders wirkungsmächtig sind. Aufgewachsen in Hamburg-Bergedorf gab es bei uns dienstags und donnerstags einen Wochenmarkt. Die Bauern aus den Vier- und Marschland verkauften Ihre eigenen Produkte. Man kannte sich und kaufte über Jahrzehnte an den gleichen Ständen Obst, Gemüse Blumen manchmal auch Wurt oder Käse. Gesprochen wurde übrigens Plattdeutsch oder zumindest Missingsch – eine interessante Verbindung aus Platt – und Hochdeutsch. In der sicherlich verklärten Erinnerung erscheint alles heimelig und authentisch. Aber verlassen wir die Kindheitserinnerungen.

Heute besuche ich Märkte häufig im Urlaub aus zwei anderen Gründen. Zum einen bieten sich besonders in warmen Urlaubsgegenden mit einer entsprechenden Produktpalette farbenfrohe Fotomotive. Tropische Früchte haben einfach grandiose Farben. Zum anderen zeigen Märkte aber auch welche Spezialitäten vor Ort angeboten, zubereitet und konsumiert werden. Meist ist dies ein kulinarischer Spiegel der regionalen Landnutzung und der Besuch auf dem Markt wird darüber hinaus zu einem indirekten Blick in die Kochtöpfe einer Gegend. Produzenten sprechen direkt mit ihren Kunden, erläutern die Herkunft und geben, im besten Fall, Hinweise für die Zubereitung. Damit können Märkte wichtige Orte für Kommunikation, Austausch und Vertrauensbildung sein.

So kann das beispielsweise aussehen:
Cairns, Australien
Istanbul, Türkei

Florenz, Italien


Barcelona, Spanien

Toronto, Kanada

Sydney, Australien




Aber jetzt zu einem konkreten und aktuellen Beispiel, das die Dimension der anderen Märkte noch etwas erweitert. Die Markthalle 9 in Berlin. Hier findet sich in historischer Umgebung – das Konzept ist mehr als 120 Jahre alt – inzwischen eine Mischung von Anbietern der unterschiedlichsten Produkte. Brot und Pasta, Gemüse und Obst, Fleisch und Fisch, Tofu-Stand („Toffu-Tussis“) und Craft-Bier. Als spannende Erweiterung des klassischen Konzeptes wird in der Markthalle an einigen Ständen auch die Verarbeitung integriert. In einer gläsernen Bäckerei kann man beim Backen zuschauen und auch die Herstellung der Pasta ist in einer offenen Einrichtung sichtbar.

Eingang zur Markthalle 9, Berlin

Besonders faszinierend ist hier eine offene Metzgerei unter dem Namen „Kumpel und Keule“. Während Backen und Herstellung von Pasta wohl kaum negative Emotionen auslösen können, ist bei einer solcherart offenen Darstellung des Metzgerhandwerks schon eher eine kritische Auseinandersetzung denkbar, zumal die verschiedenen Schritte der Wurstherstellung oder das Zerteilen von Schlachtkörpern in unserem heutigen Leben nicht mehr präsent sind. Nach Aussage von Hendrik Haase (aka Wurstsack), einem der Initiatoren des Unternehmens, ist der offene Blick auf die Verarbeitung aber das ganz große Plus der Metzgerei. Immer wieder gibt es Fragen zu der Verarbeitung und der Herkunft, Haltung und Schlachtung der Tiere. Diese Fragen können dann direkt beantwortet werden. Daneben muss natürlich auch die Qualität stimmen, sonst ergibt sich ein schiefes Bild. Zumindest für den angebotenen Hamburger kann ich dies eindeutig bestätigen. Nach jahrzehntelangen Selbstversuchen (jaja) war der Hamburger von „Kumpel & Keule“ wirklich eine Offenbarung. Einige Fotos aus den Auslagen zeigen aber auch die Qualität der angebotenen Waren. Fleisch mit einer solchen Marmorierung muss man sonst lange suchen.  Wer etwas mehr in die Hintergründe für die Etablierung von „Kumpel & Keule“ einsteigen will, dem sei das Buch von Hendrik Haase „Crafted Meat“ empfohlen. Lesenswert und ein schön gestalteter Beitrag zur Esskultur. Mit dem Untertitel „Die neue Fleischkultur: Rezepte, Handwerk und Genuss“ werden verschiedenste Beispiele für dieses alte Handwerk beleuchtet.


Was bleibt: Ein interessanter Einblick in eine Kultur zwischen Landwirtschaft und Genuss verbunden über den direkten Kontakt zwischen Produzenten und Kunden mit Enthusiasmus, Emphase und einem humorvollen Augenzwinkern („Tofu Tussis“, „Kumpel & Keule“). Gerade Letzteres kommt heute oft viel zu kurz. Die verbindenden Elemente sind Authentizität und Ehrlichkeit in der Kommunikation und Qualität der Produkte. So kann es gehen.


Ist dies eine Lösung für die gesamte Landwirtschaft? Sicherlich kann man diese Frage getrost verneinen. Mengen und Handelsströme sowie die Einkaufs- und Konsumgewohnheiten der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung machen dies wohl unmöglich. Andererseits zeigen alle einschlägigen Untersuchungen, dass es in der Bevölkerung eine durchaus respektable Klientel gibt, die schon heute großes Interesse an der Herkunft, Verarbeitung und Qualität von Produkten haben. Deren Anteil ist größer als die klassische Gruppe der Bio-Konsumenten. Wenn über den Weg von solchen direkten Kontakten urbane Eliten angesprochen werden, kann es für alle beteiligten Gruppen vorteilhaft sein. Aber bevor ich mich wiederhole: Dabei geht es um Authentizität, Ehrlichkeit und Produktqualität. 


Hier noch die Links:
Markhalle 9
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Crafted Meat von Hendrik Haase
Kumpel & Keule in der Markthalle 9